Hallo Phil (und andere an der Diskussion Beteiligte),
Ich möchte ein wenig gegenhalten. Inzwischen habe ich den ganzen Artikel zur Hand:
Die Arbeit betrachte ich
nicht als grundsätzlich schlecht, und die fragliche Zuordnung einiger Arten als „invasiv“ ändert m. E. nichts an der grundsätzlichen Aussage.
Bei der Untersuchung handelt es sich um eine Meta-Analyse, eine m. E. äußerst fleißige Zusammenstellung der verfügbaren Daten. (Vielleicht ist es eine Kandidatenarbeit, Master oder Diss?).
Die Analyse betrifft einen
begrenzten Zeitraum, Juli bis Dez. 2017 (!), eine reine Internet-Recherche.
Sie beinhaltet den Handel mit
Pflanzen, Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Amphibien, weltweit (worüber es bereits Analysen gibt, und wo bekanntlich vieles im Argen liegt!).
Genauer untersucht wurde der Handel mit Ameisenarten, wobei nur die von den Händlern preisgegebenen Daten abgerufen werden konnten. Ausgeschlossen wurde der Handel über Amazon, eBay,
private Verkäufe und private Importe (Direktkauf bei Anbietern in Australien, China etc.), über die keine Daten zu erhalten sind. Insbesondere sind dazu keine gesicherten Artnamen verfügbar.
Ausgeschlossen wurden auch die ohnehin nur bis zur Gattung identifizierten (und das sind ja nicht wenige!).
Die andernorts geäußerte Kritik daran, dass keine Verkaufszahlen der Shops angegeben werden, ist müßig: Das betrachten die Inhaber als heiliges Betriebsgeheimnis!
Auch die weitest-mögliche Definition von „invasiv“ muss man akzeptieren: Jede beliebige andere Definition hätte ebenfalls Kritik hervorgerufen.
Es bringt auch nichts, hier in den Foren einzelne Arten herauszugreifen und die Berechtigung ihrer Einstufung als „invasiv“ zu hinterfragen.
Myrmica rubra ist in Mitteleuropa nicht invasiv, wohl aber in Teilen Nordamerikas.
Anergates atratulus (die arbeiterlose Parasitenameise bei
Tetramorium sp.) ist zwar zusammen mit ihren Wirten von Europa nach Nordamerika verschleppt worden, wohl bereits vor dem Zeitalter der Dampfschifffahrt mit getopften Obstbäumchen, aber garantiert braucht niemand eine „Invasion“ dieser Art zu befürchten.
Doch es sieht anders aus, denkt man an Solenopsis invicta, oder Linepithema humile und etliche andere Arten. Jedes Beispiel einer „erfolgreichen“ Invasion muss man als
Warnung verstehen: Wenn und falls eine Art sich in einer neuen Umgebung zu einer Bedrohung für die lokale Fauna entwickelt,
können die Folgen verheerend sein, und sie sind unumkehrbar!
Nur notorische Hellseher können für eine beliebige
Camponotus, Pheidole, Tetramorium-Art, die neu in den Handel kommt, von vornherein eine invasive Entwicklung ausschließen!
Und eine einzige invasive Art reicht völlig aus, um Teile einer lokalen Fauna an den Rand der Ausrottung zu bringen!
Als sehr positiv betrachte ich, dass nun endlich das Augenmerk auf die Schattenseiten des ungehemmten Handels mit (potenziell) riskanten Arten gelenkt wird, wobei man über die verschiedenen behandelten Tiergruppen und die Pflanzen ja bereits vieles lesen konnte und kann.
Vor den Risiken des Imports allochthoner Ameisenarten hatte ich
2004 bereits gewarnt, doch das hatte außer Ablehnung in den Ameisenforen wenig Konsequenzen.
Es ging mir dabei um insgesamt fünf Risikobereiche: "Entkommene Ameisen können (1) sich zu Schadameisen in Gebäuden entwickeln; (2) als invasive Arten im Freiland auftreten; (3) Parasiten und Krankheitserreger tragen, die möglicherweise auf einheimische Arten überspringen; (4) native Tier- und Pflanzenzönosen sowie ökosystemare Funktionen beeinträchtigen; (5) auch "intraspezifische Homogenisierung" könnte eintreten."
Damals handelte es sich noch um verhältnismäßig wenige Arten, und eine Handvoll Händler. Jetzt, 16 Jahre später, hat sich die Ameisenhaltung wie ein Flächenbrand fast weltweit ausgebreitet.
Doch es geht beim Import potenziell riskanter Spezies ja nicht nur um Ameisen. Vergleichbare Probleme gibt es auch mit anderen Arthropoden, ob als Futtertiere, Reinigungs-Personal oder zur Bekämpfung von Milben für die Ameisenhaltung importiert, oder um Heuschrecken, Mantiden, Wanzen, Käfer, Spinnen, Tausendfüßer etc., die ebenfalls in Massen gehalten und gehandelt werden.
Es wird wirklich Zeit, dass sich die Umwelt- und Naturschutzbehörden gründlich mit der Problematik befassen!Lesenswert ist übrigens auch dieser
Artikel.
Über die Arbeitgruppe von Prof. Bertelsmeier an der Uni Lausanne kann man sich
hier informieren: Arbeitsbereich Invasion Ecology.
Die Arbeit wurde am 3. August 2020 eingereicht, und nach anscheinend langwierigem Peer-Reviewing am 11. Feb. 2021 angenommen. Danksagungen gehen u.a. an
Prof. Laurent Keller, einen anerkannten Ameisenforscher an der Uni Lausanne.
MfG,
A. Buschinger