Formica paralugubris als Neozoon im italienischen Apennin

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Formica paralugubris als Neozoon im italienischen Apennin

Beitragvon Merkur » Sonntag 8. September 2019, 15:56

Filippo Frizzi, Alberto Masoni, Giovanni Quilghini, Paola Ciampelli, Giacomo Santini (2018): Chronicle of an impact foretold: the fate and effect of the introduced Formica paralugubris ant (2018) -
Biological Invasions 20, 3575–3589. https://doi.org/10.1007/s10530-018-1797-x

Chronik vorhergesagter Effekte: Schicksal und Auswirkungen der eingeführten Ameisenart Formica paralugubris.
Abstract
Starting in 1958, red wood ants (Formica rufa group) from the Alps were transplanted to several Apennine forests along the Italian peninsula to be employed as biological control agents for tree insect pests. In the Campigna Biogenetic Nature Reserve, central Italy, hundreds of mounds of the dominant Formica paralugubris were repeatedly introduced, creating several populations that still survive today. In this study, we analyzed the temporal dynamics and the ecological impact of five of these populations. Their present state was assessed by censusing the total number of nest mounds and their volumes, while past changes were reconstructed from literature records. We also evaluated the impact of this species on autochthonous arthropod communities by comparing impacted and non-impacted areas and performing predation experiments. The density of nests and their volume remained stable or declined for a few years after transplant, and then they began to grow steadily. Local arthropods were severely affected, since almost all collected groups were significantly less represented in impacted than in non-impacted sites. Additionally, experiments with live bait demonstrated that potential prey have a significantly greater probability of being consumed in the areas occupied by F. paralugubris. These results prompt a thorough assessment of the fate of the introduced red wood ant populations, since their role as biological control agents has to be traded against the ecological impact on native arthropod communities. This is particularly relevant for highly biodiverse areas, such as the Campigna forest, that are home of several invertebrate species with conservation interest.
Keywords: Red wood ants, imported species, Ecological impact, Biological control. 

Zusammenfassung: Seit 1958 [und bis 1965]wurden Rote Waldameisen (Formica rufa Gruppe) aus den Alpen in mehrere Waldgebiete des Apennin auf der italienischen Halbinsel umgesiedelt. Sie sollten zur biologischen Bekämpfung von Forstschädlingen eingesetzt werden. Im Biogenetischen Naturreservat von Campigna [Parco Nazionale delle Foreste Casentinesi] in Mittelitalien wurden wiederholt Hunderte Nester der dominanten Formica paralugubris angesiedelt. Es entstanden mehrere bis heute überlebende Populationen.
In dieser Arbeit untersuchten wir die zeitliche Dynamik und den ökologischen Einfluss von fünf dieser Populationen. Der gegenwärtige Zustand wurde anhand der Gesamtzahl der Nesthügel und Messung von deren Volumen erfasst, während frühere Veränderungen aus Literaturangaben rekonstruiert wurden. Wir bewerteten auch den Einfluss dieser Art auf autochthone Arthropoden-Gesellschaften durch Vergleich von betroffenen und nicht betroffenen Bereichen [mittels Barber-Fallen], sowie durch Experimente zum Beuteerwerb.
Für einige Jahre nach der Ansiedlung blieben Nestdichte und Volumen gleich oder nahmen ab, doch danach begannen sie steig anzuwachsen. Lokale Arthropoden wurden erheblich geschädigt, da fast alle nun untersuchten Gruppen in den betroffenen Bereichen in signifikant geringerer Zahl vorhanden waren als in den nicht betroffenen Bereichen. Weiterhin haben Experimente mit lebenden Ködern gezeigt, dass potenzielle Beute in den mit F. paralugubris besiedelten Bereichen mit signifikant höherer Wahrscheinlichkeit gefressen wird. Diese Ergebnisse legen eine sorgfältige Bewertung der Entwicklung der eingeführten Populationen Roter Waldameisen nahe, da man ihre Rolle in der biologischen Bekämpfung gegenüber dem ökologischen Einfluss auf native Arthropoden-Gemenschaften abwägen muss. Dies ist besonders relevant für Gebiete mit hoher Biodiversität wie den Forst von Campigna, der einige schutzwürdige Wirbellosen-Arten beherbergt.

Mein Kommentar: Auch im Text wird hervorgehoben, dass diese Waldameisen negative Auswirkungen auf Populationen autochthoner Arthropoden haben, die nicht vernachlässigt werden dürfen.
Zweifel am Nutzen solcher Translokationen sind daher angebracht.
Die gesamte Arbeit kann hier heruntergeladen werden. https://link.springer.com/epdf/10.1007/ ... SsTA%3D%3D

Ich bin erst jetzt auf diese Arbeit gestoßen, die wohl nicht umsonst in der Zeitschrift „Biologische Invasionen“ erschienen ist. Im Prinzip ist es nichts Neues, dass Waldameisen als Prädatoren in hoher Dichte spürbare Auswirkungen auf die Abundanz anderer Wirbelloser in ihrem Wirkungsbereich haben.
Die Veröffentlichung interessierte mich vor allem, weil ich als Student in Würzburg viele der Waldameisen-Umsiedlungen und Translokationen direkt mitbekommen habe.
Formica paralugubris aus den italienischen Alpen wurden so z. B. in Unterfranaken angesiedelt (ich habe darüber berichtet: Buschinger, A. 2008: Die stark beborstete Gebirgswaldameise Formica lugubris in Kanada. Ameisenschutz aktuell 22, 33-36 ). Es war auch Formica paralugubris, die 1971 in großem Stil nach Québec, Kanada, verfrachtet wurde, wo auch diese Ansiedlung noch heute überlebt, HIER berichtet. S.a. https://idw-online.de/de/news640444).

Besonders angesprochen hat mich allerdings nun diese Arbeit aus Italien, denn im September 1963 war ich mit einer Exkursion des Inst. f. Angew. Zoologie der Uni Würzburg in eben dem „Samenwald von Sasso Fratino“, im Forst von Campigna! Teilnehmer waren u. a. Bert Hölldobler und Uli Maschwitz. Wir hatten es nicht nur auf die Waldmeisen abgesehen, sondern studierten auch die sonstige, reichhaltige Fauna der Region. Bestens untergebracht und verpflegt waren wir in einem Gasthof „Lo Scoiattolo“ (Das Eichhörnchen). Die Forstverwaltung hat uns großzügig verwöhnt: Ein Bus holte uns von der Bahn in Forli ab und stand uns für die ganzen ca. 10 Tage zur Verfügung, brachte einzelne Gruppen von uns zu ihren jeweiligen Untersuchungsgebieten. Ein Tag war dem Besuch der Waldameisen-Ansiedlungen gewidmet: In dem steilen Waldgelände hatte man eigens für unseren Besuch Wege frei geschaufelt. Auch sonst wurde uns einiges geboten: Eine Fahrt zum Besuch der Stadt Florenz, und ein Tag am Strand von Cesenatico! Sogar eine Fahrt nach Rom hatte man uns nahegelegt, was unsere Exkursionsleitung allerdings ablehnte, zugunsten des eigentlichen Exkursionszweckes. Es war ja eine „Zoologische Lehrveranstaltung“! ;)

Scoiattolo198.jpg
Lo Scoiattolo in Campigna, 1963
2. v. l.: ein bekannter Myrmekologe; 4. v. l.: W. Kirchner. Rechts: unsere beiden Busfahrere von der italienischen Forstverwaltung.

Damals, vor 60 und mehr Jahren, ging man noch recht unbedarft mit der Translokation von Organismen um. Erst langsam hat man gelernt (zum Teil leider noch immer nicht!), was „exotische“, allochthone Organismen in einem Ökosystem anrichten können. Wie die Autoren auch vermerken: Heute wäre so etwas wie die Ansiedlung alpiner Waldameisen im Apennin nicht mehr genehmigungsfähig!

Lesestoff:

viewtopic.php?f=23&t=1153#p9293 Neozoon Formica paralugubris in Canada (der ganze Thread: viewtopic.php?f=23&t=1153)

Finnegan RJ (1975) Introduction of a predacious red wood ant, Formica lugubris (Hymenoptera: Formicidae), from Italy to eastern Canada. Can Entomol 107:1271–1274.
https:// doi.org/10.4039/ent1071271-12 [es handelte sich auch hier um F. paralugubris, die aber erst 1996 als eigene Art beschrieben wurde]

Seifert B (2016) The supercolonial European wood ant Formica paralugubris Seifert, 1996 (Hymenoptera: Formicidae) introduced to Canada and its predicted role in Nearctic forests. Myrmecol News 22:11–20 https://myrmecologicalnews.org/cms/inde ... Itemid=366

MfG,
Merkur
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