Ein neuer Review zum Sozialparasitismus bei AmeisenTeleutotje hat am 22. Jan. 2020 bereits auf einen Beitrag in der „Myrmecological News“ hingewiesen: De la Mora, A., Sankovitz, M. & Purcell, J., 2020,
"Ants (Hymenoptera: Formicidae) as host and intruder: recent advances and future directions in the study of exploitative strategies." Myrmecological News, Vol. 30, 53-71.
(„Ameisen (Hymenoptera: Formicidae) als Wirte und Eindringlinge: Fortschritte und künftige Richtungen in der Erforschung von Ausbeutungs-Strategien“)
https://myrmecologicalnews.org/cms/inde ... format=raw Dazu gehört ein umfangreiches
Digitales Supplement.
Sozialparasitismus ist ja ein mich besonders interessierendes Gebiet, und der genannte neue Beitrag ist der erste Review zum Thema seit meinem Beitrag in 2009 in derselben Zeitschrift: Buschinger, A. 2009:
Social parasitism among ants: a review (Hymenoptera: Formicidae). - Myrmecol. News 12: 219-235 https://myrmecologicalnews.org/cms/inde ... format=raw Sowie das
Supplement dazu.
De la Mora et al. haben nun, 11 Jahre danach, das Thema erneut aufgegriffen. Einige neue Arbeiten über sozialparasitische Ameisen und etliche inzwischen neu beschriebene Arten sind hinzugekommen. In dem neuen Review wird eine Vielzahl von Publikationen analysiert, mit Schwerpunkt auf den zwischen 2000 und 2019 erschienenen Arbeiten. - Hier sollte man das
Supplement öffnen und sich von der langen Liste der erwähnten Publikationen beeindrucken lassen!
Die Tabelle im Supplement ist unterteilt in die Rubriken
„Sozialparasitische Arten und Unterfamilie / Wirtsarten und Unterfamilie / Publizierte Beschreibungen oder Übersichten / Originalarbeiten (seit 2000)Außerdem wird die Tabelle nach den drei von den Autor/inn/en unterschiedenen Formen von Sozialparasitismus untergliedert,
Dulosis (Sklavenhalter) –
Inquilinen –
Temporäre Sozialparasiten (parasitische Koloniegründung).
Hinzu kommt ein Beispiel für einen Sozialparasiten mit unklarer Zuordnung (
Solenopsis phoretica; dazu gehörte auch die ganz neu entdeckte „Rodeo Ant", einige Beispiele, wo Freilanduntersuchungen erforderlich wären, sowie anscheinend irrtümliche Zuordnungen von Parasiten und Wirten in der Literatur (bedingt zumeist durch falsche Bestimmung bzw. zwischenzeitliche Umbenennung von Arten).
Insgesamt ist die Publikation eine wertvolle Aktualisierung zu der letzten Revision von 2009 und zweifellos eine sehr aufwendige Literatursammlung. Ein Blick auf den myrmekologischen Hintergrund der Autor/inn/en allerdings zeigt, dass diese nur sehr wenig direkte Erfahrungen im Umgang mit Sozialparasiten haben (
https://purcelllab.ucr.edu/people.html ). Daher werden auch Publikationen ziemlich unkritisch referiert, bei denen methodische Schwächen nicht auszuschließen sind.
Das Bild der „Rodeo-Ant“ von A. Wild auf S. 55 ist ein schöner Blickfang, aber in diesem Zusammenhang wenig aussagekräftig, da man über die Lebensweise der Art (und ihrer zwei Verwandten) nichts weiß. Sie als Beispiel für die vermutete Ausbreitung der Parasiten durch Anklammern an die Wirtsgynen auf deren Hochzeitsflug zu nennen ist tollkühn: Selbst bei der lange bekannten
Teleutomyrmex schneideri („
Tetramorium inquilinum“) ist das eine Hypothese, die trotz einiger Wahrscheinlichkeit noch unbewiesen ist.
De la Mora et al. 2020, S. 57:
"we speculate that hitchhiking on dispersing queens or dispersing with propagules containing host workers and queen(s) may be a relatively common dispersal mechanism in highly specialized inquilines". Doch Ausbreitung von Parasiten beim budding polygyner, parasitierter Wirtskolonien ist alter Hut; „hitchhiking“ ist noch nie beobachtet worden. Das würde auch vorherige Begattung der Parasitengynen im Wirtsnest voraussetzen, und evtl. die Kopula der Wirtsgyne auf deren Hochzeitsflug, wobei sie die Parasitengyne trägt.
Was mir als fehlend auffällt: Die beiden experimentellen Arbeiten zur „Prägung“ (imprinting) von
Chalepoxenus auf „neue“ (normal nicht als Sklaven dienende) Wirtsarten sind nicht genannt. Sie passen perfekt dazu, dass Duloten recht „einfach“ sich neue Wirtsarten „erschließen“ können und deshalb ein breites WA-Spektrum haben können.
Schumann, R.D., Buschinger, A. 1994: Imprinting effects on host-selection behaviour of colony-founding Chalepoxenus muellerianus (Finzi) females (Hymenoptera, Formicidae). Ethology 97, 33-46.
Schumann, R., Buschinger, A.1995: Imprinting effects on host-selection behaviour of slave-raiding Chalepoxenus muellerianus (Finzi) workers (Hymenoptera: Formicidae). Ethology 99, 243-251.
Ansonsten wurden viele Arbeiten von mir und meiner Arbeitsgruppe genannt. Das Buch von Seifert (2018) ist nicht im Text, wohl aber im Supplement berücksichtigt. Es enthält sehr aktuelle Darstellungen zum Sozialparasitismus sowie auch zu deren Häufigkeit und Verbreitung, eine Diskussion, die bei De la Mora et al. großen Raum einnimmt (vgl.
https://blog.myrmecologicalnews.org/201 ... questions/ und
viewtopic.php?f=23&t=1958#p17831 ) Hier gibt es nach wie vor weit auseinander gehende Einschätzungen.
Ein durchgehendes Problem in dem Review ist der Umgang mit den unseligen Umbenennungen vieler Sozialparasiten durch Ward et al. (2015): Generell werden deren Namen verwendet, im Supplement sind zusätzlich die traditionellen Namen zu finden, z. B.
Temnothorax (=
Chalepoxenus)
muellerianus oder
Temnothorax (=
Protomognathus)
americanus usw.. Im Text allerdings fehlen mir Hinweise darauf, wenn etwa von Genera mit
„vielen Sozialparasiten wie … Temnothorax …“ die Rede ist (die meisten der jetzt als
Temnothorax bezeichneten Sozialparasiten waren eben in eigenen Gattungen untergebracht).
Abstract: Despite their reputation for building fortress-like colonies, ants and other social insects have many natural enemies that can infiltrate and exploit them. This profitable strategy, which allows individuals to reap collective benefits while paying few costs of cooperation, has evolved repeatedly in ants. Here, we review recent advances in the study of social parasitism, with three goals: (1) consider how social parasitism arises within the ants, (2) examine the exploitative and defensive tactics employed by parasites and hosts at each stage of their interactions, and (3) integrate recent social parasite species discoveries into an overview of the biogeographic distribution of social parasites. We focus on three common types of interspecific social parasitism: temporary, queen-killing parasites, permanent inquilines (which are usually, but not always, queen-tolerant), and dulotic species that steal heterospecific brood to build their own workforce. We consider only superficially intraspecific interactions and interspecific associations that appear to walk the line between commensal and parasitic. Through our classification of the components of social parasite evolution and our updated assessment of social parasite biogeography, we identify several knowledge gaps in the field and close with some proposed strategies and priorities for future research. Key words: Dulosis, inquiline, temporary social parasite, social parasitism, coevolution, biogeography, latitudinal diversity gradient, review.
Für die Fachleute, die sich mit dem Sozialparasitismus der Ameisen ernsthaft befassen, ist der Review von De la Mora et al. 2020 sicher hilfreich. Andere Myrmekologen sowie gelegentliche Interessenten an der Thematik dürften Schwierigkeiten damit haben, die Inhalte zu verstehen.
MfG,
Merkur